Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung trauert um Theresia Haidlmayr
SLIÖ trauert um Theresia Haidlmayr, langjähriges Mitglied der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, die in den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2022 verstorben ist. Wir verlieren mit Theresia nicht nur eine hartnäckige Kämpferin für die Rechte und Anliegen von Menschen mit Behinderungen, sondern viele von uns verlieren auch eine Kollegin aus verschiedenen Kontexten und langjährige Freundin.
Theresia kam am 9. September 1955 in Steyr (OÖ) auf die Welt. Aufgrund einer angeborenen Glasknochenkrankheit hat sie die Regelschule vor Ort nicht aufgenommen. Theresia musste weit entfernt von Eltern und Geschwistern ihre Pflichtschulzeit in der „Waldschule“, einer Sonderschule mit Heim für körperbehinderte Kinder in Wiener Neustadt, besuchen. Die hospitalisierenden Effekte der oft wochenlangen Trennung machten ihr lange sehr zu schaffen. Wie sie selbst berichtet, zeigte sich aber schon damals ihr widerständiger und rebellischer Geist: „Ich glaube, dass vieles, was … ich gemacht hab, einfach aus meinem Grundprinzip entstanden ist….., dass ich es einfach nicht aushalte, wenn jemand ungerecht behandelt wird.“ Nach der Pflichtschule absolvierte Theresia die Bundeshandelsschule „für Behinderte“ in Wien. In diese Zeit, 1974, fällt ihre Teilnahme an einer der ersten öffentlichen Aktionen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in Österreich: Rollstuhlfahrer:innen sperrten die Wiener Ringstraße, da sie von einem Pop-Konzert im Konzerthaus ausgeschlossen wurden. Diese Aktion erregte großes mediales Aufsehen – es war ein historischer Moment für die damals erwachende österreichische Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.
Nach ihrer Berufsausbildung arbeitete Theresia als Lohnverrechnerin in der Privatwirtschaft, 1985 schloss sie eine aufbauende Ausbildung als (Bilanz-) Buchhalterin ab. Später wechselte sie in die integrative Behindertenarbeit in Oberösterreich, wo sie den Aufbau und die Koordination des mobilen Hilfsdienstes in Steyr übernahm und sich intensiv an der österreichweiten Vernetzung der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung beteiligte. Theresia war sehr streitbar und immer offen für Aktionismus. So nahm sie im November 1990 am Hungerstreik für ein bundeseinheitliches Pflegegeldgesetz im Parlament teil, das nach mühsamen Verhandlungen mit der Regierung und den Bundesländern im Juni 1993 Realität wurde. Dazu Theresia retrospektiv: „…. das Pflegegeldgesetz, da spür ich heute noch, dass ich wachse …. Vor allem hat es für mich zum ersten Mal so richtig den Kampfgeist und das Gemeinsame gezeigt, wenn jemand um sein Lebensrecht auf Selbstbestimmung kämpft. …. da geht es nicht um Almosen, oder um eine nette Geschichte, sondern da geht es um Rechte“.
1994 wurde die damals knapp 40-jährige nach Manfred Srb als zweite Rollstuhlfahrerin in den österreichischen Nationalrat gewählt und übernahm dort für die Grünen die Funktion als Behinderten- und Zivildienstsprecherin. Theresia wies im Parlament immer darauf hin, dass Behinderung eine Querschnittmaterie ist, die in jedem gesellschaftlichen Bereich mitgedacht werden muss – sei es in der Verkehrspolitik, im Baubereich, im Gesundheitswesen oder in der Kultur. Selbstverständlich setzte sie sich – nicht zuletzt aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung der schulischen Aussonderung – immer für die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen und die Abschaffung von Sonderschulen ein. In ihrem politischen Engagement thematisierte sie als Teil der Selbstbestimmt Leben Bewegung visionär die wesentlichen Inhalte und Ziele der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die von Österreich im Jahr 2008 ratifiziert wurde.
Als die Neo-Nationalratsabgeordnete 1995 im Rollstuhl den Opernball besuchen wollte, wurde ihr das per Bescheid „aus Gründen der Sicherheit für alle Opernballbesucher“ verweigert. In den Medien blieb dies immerhin als für den Opernball „peinliche Rollstuhlaffäre um Theresia Haidlmayr“ in Erinnerung.
Theresia war es, die 1997 das Thema der Zwangssterilisationen von Mädchen und Frauen mit Behinderungen in die Öffentlichkeit trug, eine parlamentarische Enquete und entsprechende Änderungen im Kindschaftsrecht initiierte. Diese schränkt seit dem Jahr 2001 die Sterilisation von Frauen mit Behinderungen ohne deren Einwilligung ein. Ebenso kritisierte Theresia den Schwangerschaftsabbruch nach der Fristenregelung aufgrund eines zu erwartenden Kindes mit einer Behinderung. Äußerst skeptisch beobachtete sie die immer weiter ausufernde Pränatal-Diagnostik, das Screening nach behinderten Föten. Die Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch von behinderten Föten spaltet auch heute noch die Frauen- und Behindertenszene. All diese Themen waren für Theresia emotional oft sehr belastend, wie sie selbst berichtet: „Die ethischen Themen waren immer schwere Themen. Ob das jetzt die Zwangssterilisation ist, oder die Abtreibung, oder die aktive Sterbehilfe. Das ist emotional ganz anstrengend, für mich noch mehr als für andere. Weil gerade die Gruppe der behinderten Menschen immer Opfer dieser Systeme waren. Und es bis heute ist.“
In ihrer ersten Pressekonferenz als Nationalratsabgeordnete 1994 hatte Theresia ein „Gleichstellungsgesetz und damit die Beendigung jeglicher Diskriminierung behinderter Menschen“ gefordert. Gegen Ende ihrer Zeit im Nationalrat begannen lange und mühsame Verhandlungen um ein Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz. Diesen war im Jahre 1997 die Verankerung einer Nichtdiskriminierungsklausel aufgrund von Behinderung in der österreichischen Bundesverfassung vorausgegangen, die durch eine Petition der Selbstbestimmt Leben Bewegung initiiert worden war. Theresias Fazit zu den schwierigen Verhandlungen für ein Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, das 2005 ohne einen Anspruch auf die Unterlassung und Beseitigung von Barrieren und Diskriminierung beschlossen wurde: "Den Wirtschaftsinteressen wurde zu 100 Prozent nachgegeben." (Standard, 8.7.2005)
2008 kandidierte Theresia nicht mehr für den Nationalrat, sie sah keine Chance bei den Grünen auf einen wählbaren Listenplatz gereiht zu werden.
Theresia war eine ungemein lebenslustige, kommunikative und sehr verlässliche Person. Wann immer man sie traf, sei es geplant oder zufällig, erzählte sie mit großem Humor von Begebenheiten aus ihrem Alltag und interessierte sich gleichzeitig für die Erzählungen ihrer Gesprächspartner:innen. Sie kümmerte sich um andere, verschickte Geburtstagskarten, nähte Hosen, verschenkte selbst-gemacht Marmelade und beriet bei der Auswahl eines neuen Rollstuhls. Traf man sie zufällig in der Zeit um den Jahreswechsel, hatte sie Glücksbringer in der Manteltasche, die sie großzügig verteilte. Theresia liebte das Bunte, die Vielfalt. Sie ließ sich von nichts und niemandem vereinnahmen. So arbeitete sie nach ihrer aktiven Berufstätigkeit und politischen Laufbahn viele Jahre ehrenamtlich beim Trägerverein des Vereins Life Ball mit.
Sie liebte die Oper, die sie bis zuletzt besuchte. Sie war immer mit dem E-Rollstuhl schnell unterwegs, machte gerne die „Mahü“ unsicher und hat vielerorts entlang der Einkaufsstraße ihre persönliche Handschrift hinterlassen, was die Barrierefreiheit von Geschäften und Lokalen angeht. Theresia, du fehlst und das nicht nur dort!
Verwendete Veröffentlichungen:
„Grünes Behindertenmandat“, Domino 1/1994, S.14
„Haidlmayr – Portrait der grünen Nationalrats-Kandidatin“ von F.J. Huainigg, Domino 3/1994, S.23-24
„Mahnwache mit gerupftem Huhn. Proteste gegen Gleichstellungsgesetz, Ausnahmen für Universitäten“ Der Standard, 8. Juli 2005
Spudich, Helmut (1995): Von Amts wegen an den Rollstuhl „gefesselt“
Theresia Haidlmayr (1998) "Zwangssterilisation - Menschenrechtsverletzung oder medizinische Notwendigkeit"? Einleitungsreferat bei der Enquete „Zwangssterilisation - Menschenrechtsverletzung oder Notwendigkeit?“ 5. 3. 1998 im Parlament.